Vorarlberger Textilpioniere
Großes Entwerfen, 10 ECTS
Studierendenarbeiten
Wintersemester 2023/24
Betreuung:
Heike OEVERMANN
Bernd EULER-ROLLE
Hanne RUNG
Johannes PAINTNER
Die Textilfabrik mit Wasserkraftwerk Hämmerle in Feldkirch-Gisingen, gebaut 1893/1894 mit Erweiterungen 1910, 1929, 1956 und 1970 bis 1990er Jahre, steht mit ihren Bauteilen aus dem 19. Jahrhundert, dem Wasserkaftwerk, Direktorhaus, Buchhalterhaus und drei Meisterhäusern unter Denkmalschutz. Die eingeschossige mit Shedlichtern versehene Spinnereihalle und einer zurückhaltend repräsentativen Südfassade wurde nach Plänen des Schweizers Sequin-Bronner durch lokale Baumeister erbaut und misst ca. 100 m x 110 m. Seit einigen Jahren werden nur noch Teile des Industriekomplexes als Lager genutzt, die Bauherrschaft ist dabei einen Prozess für die Nachnutzung samt möglicher Veränderungen und Erweiterungen zu organisieren. Die historische Funktion des Komplexes als Arbeitsort und ‚Zentrum‘ des sich um die Fabrik entwickelnden Stadtteils weist der Fabrik eine über die Produktion hinausgehende Bedeutung zu.
Die Studierenden waren aufgefordert eine Analyse und Bewertung des Bestandes vorzunehmen, ein denkmalpflegerisches Konzept und Nutzungsperspektiven zu entwickeln, sowie konkrete Interventionen zu entwerfen und beispielhaft zu detaillieren. Dabei stand im Fokus der Aufgabe, ausgehend von den identifizierten Denkmalbedeutungen, die vorgeschlagenen Veränderungen abzuwägen und entsprechend den Bestand wertschätzend zu erhalten und entwickeln.
DAS FABRIKLE
ein neues Quartierszentrum für Gisingen
Lasse Siemen
Dierk Henrik Pressel
Die Hämmerle-Spinnerei in Gisingen wurde 1893/94 abseits des alten Dorfkerns auf der grünen Wiese errichtet, durch die Werkssiedlung und den Zuzug von Arbeitern entstand der heutige Ort. Lange war die Spinnerei Dreh- und Angelpunkt des Lebens im Stadtteil, wohingegen sie im Alltag heute kaum eine Rolle spielt. Kaum jemand arbeitet seit der Schließung 2016 mehr dort, das Gelände ist unzugänglich und recht versteckt. Diese frühere Bedeutung der Fabrik soll wieder sichtbar werden – sowohl durch denkmalpflegerische Maßnahmen, als auch durch die Einrichtung eines öffentlichen Quartierszentrums in der Spinnerei.
Um dieser Funktion im Stadtraum Ausdruck zu verleihen, soll die Fabrik zur Straße hin einen Wohnturm und ein neues Sheddach über der Halle 2 erhalten. Dadurch wird das Areal weithin sichtbar und bezieht sich auf die Hochpunkte der Umgebung. Die neuen Haupteingänge werden betont. Zugleich bleibt der Eindruck der historischen Schaufassade unverändert. Im Inneren des Gebäudes soll eine vielfältige Nutzungsmischung entstehen. Der Fokus liegt weiterhin auf Handwerk und Produktion, hinzu kommen Wohnen, Kultur, Vereine, Gastronomie sowie Freiraum für Pioniernutzungen und Ideen.
Zur besseren Erschließung wird die ehemalige Halle 13 in eine neue Durchwegungsachse für Fahrräder und Fußgänger umgewandelt. Im Norden wird der bestehende Grünraum zu einem Stadtteilpark weiterentwickelt und zum Wäldchen hin geöffnet. Hier wird es zukünftig auch möglich sein, über eine Terrassenanlage zum Hämmerle-Kanal zu gelangen und dort zu baden.
STADTFABRIK
Christoph Buchsteiner
Patrick Straßberger
Bei der Nachnutzung soll der Fokus auf Produktion liegen, um die Industriegeschichte der Fabrik fortzusetzen. Es sollen Experimentierflächen entstehen und mithilfe von etablierten Firmen ein Standort für zukunftsorientiertes Gewerbe geschaffen werden. Mit Events, Theater, Gastronomie soll der städtische Teil der Spinnerei entwickelt werden. Die Fabrik soll schrittweise der Öffentlichkeit zugänglich gemacht und gemeinsam mit den Menschen vor Ort entwickelt und adaptiert werden. Zu Beginn sollen eine Werkstätte, ein Veranstaltungssaal sowie Gastronomie, als Ankerfunktionen eröffnen.
Die industrielle Typologie soll weiterhin als eine solche gelesen werden können. Signifikante Räume sollen in ihrer Raumwirkung erhalten bleiben, Eingriffe in die Hülle, welche die Nutzungsmöglichkeiten erweitern oder verbessern, können durchgeführt werden. Wesentliche Maßnahmen inkludieren, neben kleineren Reparaturarbeiten, die Öffnung von verschlossenen Fenstern und das Ergänzen von Dachfenstern zur besseren Belichtung der Innenräume. Räumliche Einbauten sollten temporär gedacht werden, reversibel sein und von erhaltenswerten Elementen abrücken.
GISI ZENTRUM
Hanna Höbel
Vivien Moric
Das Gisi Zentrum konzentriert sich auf die Umnutzung der bestehenden Gebäudeteile zu einem großen Gemeinschaftszentrum. Durch die Wiederverwendung bestehender Strukturen und die Integration verschiedener Komponenten soll eine Gemeinschaft entstehen, die von Zusammenarbeit, Nachhaltigkeit und gemeinsamen Erfahrungen lebt.
Die denkmalgeschützte Haupthalle verwandelt sich in geräumige, anpassbare, kollaborative Arbeitsplätze. Kulinarische Verpflegung gibt es im hauseigenen Food Court. Zutaten hierfür können direkt aus der angrenzenden Markthalle – dem alten Baumwolllager – bezogen werden. Lokalen Erzeuger*innen wird dort der Verkauf eigener Produkte ermöglicht. Die Herberge bietet moderne Zimmer und Gemeinschaftsräume im alten Werkstattcharme. Gästen wird so ein besonderes Übernachtungsangebot in der ehemaligen Schlosserei geboten. Im Altentageszentrum wird ein sicheres Umfeld für Senior*innen geschaffen und in den Gemeinschaftsbereichen können Alt und Jung zusammentreffen. Durch den Wegfall der Halle 13 und der Umnutzung als Terrasse im Freien entsteht konsumfreier Raum für kulturelle Veranstaltungen, Aufführungen und Gemeindeversammlungen.
Somit ermöglicht „Gisi“ vielfältige Nutzungen im ehemaligen Hämmerle-Areal. Die Wünsche und Anforderungen des Stadtentwicklungsplans werden in einem großen Areal vereint.
DIE ANGEWANDTE FÜR DESIGN VORARLBERG
León Kaeppel
Dominik Tschabrun
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kam es im Textilfabrikbau zu einer Transition von der mehrgeschossigen Fabrik hin zur eingeschossigen Bauweise. Die Fabrik in Gisingen war der größte Vertreter dieser Art in ihrer Zeit und Region. Dargestellt sind die Bauabschnitte der Entwicklung der Fabrik in Gisingen von 1893 bis 2016. Die 1893 erbaute Haupthalle ist wohl widerspruchslos der Mittelpunkt der gesamten Fabrik. Die Merkmale sind die klassizistische Fassade, die Größe des Raumes, die Stützen und das Dach mit den Oberlichtern. Weniger offensichtlich ist die Bedeutung der in den 1980er Jahren erbauten Halle 2. Die Fassade, die längst mit ihrer markanten grünen Farbe einen Wahrzeichencharakter an der Hämmerlestraße übernommen hat, ist als wichtiges Element in der Erhaltungsstrategie anzusehen. Vorarlberg war einst zu der Zeit der Textilindustrie ein Land der Innovation. Auch heute möchte es vor allem im internationalen Diskurs als ein solches gelten. Dafür benötigt es junge kreative Köpfe und innovative Ideen.
Die analytische Untersuchung von künstlerisch gestaltenden Hochschulen in aller Welt im Vergleich zum Areal zeigt auf, dass eine solche Nutzung sehr gut in die Gebäudetypologie passt und des Weiteren auch eine Partizipation der Bevölkerung nicht nur zulässt, sondern sogar sucht. Als identitätstiftendes Gebäude wird Halle 2 zur Bibliothek umgenutzt. Die Belichtung des Innenraumes wird durch in die Trapezblech-Fassade integrierte runde Öffnungen sichergestellt, die durch ihre Anordnung die strenge Rasterung der Fabrik aufnehmen.
Die große, offene und durch die Säulen rhythmisierte Struktur der Haupthalle wird zum kreativen Arbeitsraum der Studierenden, unterstützt durch die um ihn herum angeordneten Lehrräume.
V[or]T
Moritz Eisler
Sina Stadlbauer
Der ausgearbeitete Entwicklungsprozess für das Hämmerle-Areal trägt den Titel „Vor Ort“, da wir das Projekt als einen partizipativen Ansatz durchgeführt haben, bei dem mehrere Akteure gemeinsam daran arbeiten, das Areal zu entwickeln. Unser Ziel ist es, das Hämmerle-Areal zu einem Ort der Produktion, Forschung, Weiterbildung und Erholung zu machen. Dieser Ansatz wurde in vier Phasen umgesetzt, um die Ideen des partizipativen Prozesses in einen Entwurf zu integrieren.
Zunächst wurde jede Halle des Areals aufgrund ihrer Vielfalt an Kubaturen, Materialien und Tragsystemen analysiert. Daraufhin wurden für jede Halle Steckbriefe erstellt, die Instandsetzungsmaßnahmen, Elemente zur Erhaltung und potenzielle Eingriffe dokumentierten. Dies führte zu einem denkmalpflegerischen Konzept, das erhaltenswerte Elemente wie Fenster, Türen, Grundrissstrukturen und Materialkonzepte identifizierte. Jede Halle wurde individuell analysiert, um ihre Stärken und Schwächen zu bewerten.
Das Erhaltungs- und Nutzungskonzept konzentrierte sich darauf, Handwerk, Bildung, Forschung und Freizeitangebote innerhalb des Areals zu verbinden. Dies sollte durch die gezielte Definition neuer Freiräume, Durchwegungs- und Querachsen über den Fluss, die Zonierung durch Ebenen bei Neu- oder Umbauten sowie die Wiederherstellung von Öffnungen und Licht- und Blickbeziehungen ermöglicht werden.
In den vier Phasen werden schrittweise Maßnahmen am Areal durchgeführt, um es von seiner früheren Nutzung als Lagerhalle und dem Leerstand hin zu neuen Nutzungen umzugestalten. Zunächst wurde die Zugänglichkeit verbessert, und drei Hallen abgerissen, um mit dem Bauteilrecycling zu beginnen. In der zweiten Phase wurde die Produktion vorbereitet, und die große Halle 1 wurde umgebaut und umfunktioniert. In der dritten Phase erfolgte der Umbau der Lehr- und Forschungsbereiche, während sich die vierte Phase auf den Neubau und die Gestaltung von Grünflächen konzentrierte. Ein signifikanter Eingriff in diesem Projektentwurf war der Durchbruch zum Kellerbereich des nördlichen Teils der Halle 1, um Hörsäle und einen öffentlichen Indoor-Bereich mit Sitztreppen und Ausstellungsflächen zu schaffen.