Catherine Sark 2023
Die Südtiroler Siedlungen in Vorarlberg: Geschichte, Gegenwart und Zukunft
Im Zuge des sogenannten Hitler-Mussolini-Abkommens stand die deutsch- und ladinischsprachige Bevölkerung Südtirols 1939 vor der bitteren Wahl entweder für das Deutsche Reich zu optieren und ihre Heimat zu verlassen, oder weiterhin ohne Minderheitenrechte im faschistischen Italien zu verbleiben. Durch die Umsiedlung der Südtiroler*innen erhoffte sich das NS-Regime eine Stärkung ihrer Kriegswirtschaft durch das abgelöste Vermögen, die Erhöhung der Anzahl der Wehrpflichtigen sowie durch neue Arbeitskräfte. Auch wenn insgesamt nur etwa ein Drittel der Optant*innen abgewandert war, musste ungeachtet des damals herrschenden Wohnraummangels schlagartig Unterkünfte für 75 000 Menschen geschaffen werden.
Das unter dem Titel «Sondermaßnahme Südtirol» bezeichnete Wohnbauprogramm erhielt trotz Kriegszustand höchste Priorität und wurde mit Baustoffen und Arbeitskräften bedacht. Unter dem wesentlichen Einfluss von Industrie- sowie Rüstungsbetrieben entstanden bis 1945 durch verschiedene gemeinnützige Wohnbaugesellschaften bzw. Bauvereinigungen in der gesamten „Ostmark“ bzw. ehemaligen Alpen- und Donau-Reichsgaue zahlreiche Südtiroler Siedlungen. In Vorarlberg wurde im Rekordtempo für knapp 11 000 Migrant*innen insgesamt 17 Anlagen mit 475 Gebäuden und 2.333 Wohnungen errichtet. Damit stellen die Südtiroler Siedlungen nicht nur die erste großmaßstäbliche Bauaufgabe in bis dahin noch nie dagewesenen Dimensionen, sondern auch das erste gemeinnützige Wohnbauprogramm in Vorarlberg dar – obgleich als eine Sonderform.
Die Anlagen sind bis heute noch alle erhalten und stellen wichtige baugeschichtliche und kulturhistorische Dokumente dar. Aufgrund ihres Alters ist allerdings die Zukunft der Südtiroler Siedlungen noch ungewiss. Die letzte Generalsanierung liegt bereits über 25 Jahre zurück und derzeit ist von Abbruch, Sanierung oder Nachverdichtung alles möglich. Um überhaupt fundierte Entscheidungen über das Schicksal der Gebäude in Zukunft treffen zu können, bedarf es immer noch an einer vollständigen architekturspezifischen Auseinandersetzung. Im Zuge dieser Diplomarbeit sollen alle 17 Anlagen im Hinblick auf ihren Städtebau, ihrer Architektur und ihren weiteren zu erhaltenden Besonderheiten analysiert und anhand von Plänen und Fotos dokumentiert werden mit dem Ziel, ihr baukulturelles Erbe bestmöglich zu bewahren.